(Maria Höller-Zangenfeind im Interview – Wiener Zeitung 31.07.2009)
Von Sonja Panthöfer
Die Körpertherapeutin Maria Höller-Zangenfeind spricht über stimmliche Ausdruckskraft, die – bei Politikern oftmals fehlende – Körperwahrnehmung, und warum die österreichische Sprache „swingt“.
Wiener Zeitung: Frau Höller-Zangenfeind, Stimmcoachings werben gerne damit, dass wir aus den Worten eines Gesprächspartners nur einen Bruchteil unserer Informationen – nämlich rund sieben Prozent – beziehen. Stimme, Gestik und Mimik seien viel wichtiger. Ist das Gesagte tatsächlich also eher unwichtig?
Maria Höller-Zangenfeind: Wenn jemand über ein Thema spricht, das mich sehr interessiert, nehme ich natürlich mehr auf als diese sieben Prozent, die ja nur ein Durchschnittswert sind. Bei jeder ersten Begegnung nimmt uns der Stimmklang des Sprechers aber doch sehr gefangen. Da spielen persönliche Charakterzüge und die Tagesform des Gesprächspartners ebenfalls eine Rolle.
Wenn ich nun jemandem begegne, dessen Stimme mir fürchterlich unsympathisch ist – inwieweit kann oder darf ich daraus auf die Persönlichkeit des Sprechers schließen?
Man kann auf jeden Fall davon ausgehen, dass es bei diesem Menschen Verhaltensweisen gibt, die in einem Widerstand oder Ablehnung hervorrufen. Möglicherweise gibt er Frequenzen von sich, die nicht gut ankommen. Natürlich heißt das nicht, dass diese Person in ihrem ganzen Wesen unsympathisch ist.
Also sollte man eine Klein-Mädchen-Stimme nicht mit einer Klein-Mädchen-Persönlichkeit gleichsetzen?
„US-Präsident Obama strahlt mit seiner Stimme, vor allem aber in seiner Gestik und Mimik Glaubwürdigkeit aus.“ (Höller-Zangenfeind). Foto: epa
„US-Präsident Obama strahlt mit seiner Stimme, vor allem aber in seiner Gestik und Mimik Glaubwürdigkeit aus.“ (Höller-Zangenfeind). Foto: epa
Wenn die Stimme konstant kleinmädchenhaft klingt, gibt es in dieser Frau offensichtlich etwas, das nicht erwachsen geworden ist. Diese Frau hat das Gefühl, dass sie mit ihrer Stimme in der Männerwelt besser ankommt.
Was macht eine Stimme anziehend?
Anziehend sind die oft zitierten vibrations. Wenn Sie mit jemandem sprechen, erzeugt Ihr Körper für den Stimmklang Vibrationen. Ausgelöst durch die Stimmlippen, leiten die Knochen und schließlich das Gewebe diese Vibrationen weiter an die Akustik. Da Sie Ihren Körper für den Klang gut nutzen, können mich diese Schwingungen erreichen. Wir berühren einander in Live-Situationen tatsächlich mit unserer Stimme. Das ist kein Hokuspokus, sondern zunächst einmal eine rein physikalische Angelegenheit. Worauf sollten wir denn achten, wenn wir beruflich Erfolg haben wollen? Wie müssen wir klingen?
Erfolg wird heute gerne so definiert: Wie viel Geld verdiene ich? Wie präsent bin ich in den Medien? Kommt meine Stimme gut an? Für mich hat Erfolg mit persönlicher Entwicklung, mit der Sinngebung im Leben zu tun. Es bedeutet auch, dass ich mir meiner Schwächen bewusst bin und dazu stehen kann. Eine erfolgreiche Stimme ist eine authentische Stimme.
Sie haben gerade die Medien erwähnt. Was fällt Ihnen auf, wenn Sie Stimmen im Radio oder Fernsehen hören?
Viele Prominente wissen genau, wie man eine „bella figura“ macht. Sie sind medientauglich, können gut plappern, haben eine sehr gute Artikulation und sind rhetorisch gewandt.
Menschen mit rauen oder weniger wohlklingenden Stimmen werden gut gecoacht. Nur: Das alles ist Makulatur und Maske. Persönlichkeit zählt wenig. Die Folge sind Moderatoren, die nicht nur unecht klingen, sondern es auch sind.
Politiker präsentieren sich sehr oft in den Medien, doch Umfragen belegen, dass die Politikverdrossenheit der Menschen stetig wächst. Inwieweit könnte das mit den Stimmen der Politiker zusammenhängen?
Nun ja, auch die werden hauptsächlich auf ihre Medientauglichkeit hin gecoacht, und das macht sie als Person weniger glaubwürdig.
Fällt Ihnen jemand ein, der als positives Beispiel für Glaubwürdigkeit auf der Politikbühne gelten könnte?
Ich glaube, am Beispiel von US-Präsident Barack Obama und seinem Vorgänger George W. Bush wird der Unterschied recht deutlich. Obama vermittelt Integrität, moralisches Handeln und ist nicht in erster Linie darauf bedacht, was ihm Erfolg einbringt. Er strahlt mit seiner Stimme, vor allem aber in seiner Gestik und Mimik Glaubwürdigkeit aus. Deshalb macht es einen sehr großen Unterschied aus, ob Obama einen Fehler zugibt – oder Bush.
Sollten Politiker also mehr Politik mit ihrem Körper machen?
Es geht immer um ein Gesamtbild, und dazu gehört eben auch der Körper. Die Stimme macht nur einen Teil des Menschen aus. Es könnte für Politiker sicherlich sehr hilfreich sein, würden sie mehr auf ihren Körper und ihre innere Stimme achten.
Sollten das nicht alle Menschen tun?
Ja, natürlich. Es gibt viel zu viele Fettleibige, also nicht dicke Menschen, die gab es immer. Heute sehen wir Leute mit Haltungsproblemen und gestörter Körperwahrnehmung. Es gibt diesbezüglich eine Fülle von Ratgebern, weil wir unser gesundes, natürliches Körperempfinden verloren haben. Was ist gesund? Was sollen wir essen? Wie viel sollen wir uns bewegen? Das sind Fragen, die man heute dem Arzt, Heilpraktiker oder Therapeuten stellt.
Die österreichische Schriftstellerin Sabine Gruber spricht in einem ihrer Romane von „Körper-analphabeten“. Würden Sie dem zustimmen?
Absolut. Es gibt eine körperliche Verwahrlosung, die um sich greift. Dem ist nur beizukommen, wenn die Bedeutung des Körpers wieder allgemein erfasst wird. In ihm sind Geist und Seele materialisiert. Die TV-Werbespots oder die Plakate im Straßenbild zeigen deutlich, dass Körper heutzutage im sexuellen, aber nicht im erotischen Sinne benutzt werden. Das sind Auswüchse. In Asien dagegen hat die Körperkultur eine jahrtausendealte Tradition, die heute noch zum Alltag der Menschen gehört und gepflegt wird.
Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?
Der Körper sollte wieder mehr sein als nur Leistungsträger und wertgeschätzt werden. Äußerlichkeiten werden zu wichtig genommen. Wünschenswert wäre es, wenn bereits in den Schulen auf Körperwahrnehmung und Körperbewusstheit mehr Wert gelegt würde. Heranwachsende könnten solcherart ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln.
Sie erwähnten die asiatische Körperkultur, und sind ja selbst seit vielen Jahren in Japan tätig. Wie kam es dazu?
Dabei haben mein großer Wunsch, singen zu können, und mein Lachen eine gewisse Rolle gespielt. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn war ich Sportlehrerin und habe später eine Ausbildung zur Atemtherapeutin bei Ilse Middendorf in Berlin gemacht. Ich war dann fünf Jahre lang ihre Mitarbeiterin. Privat habe ich Gesangsunterricht genommen, konnte aber keine hohen Töne singen. An einem meiner Atemkurse nahm die japanische Sängerin Michiko Hirayama teil, die für Neue Musik bekannt ist. Die fand mein Lachen wunderbar und kraftvoll. Sie behauptete, jemand mit so einem Lachen müsse einfach singen können. Und hat mich dann immer zum Lachen gebracht. Wenn ihr das gelungen war, rief sie: „Hörst du diese Töne? Das bist du!“
Und diese unkonventionelle Dame hat Sie nach Japan gebracht?
Genau! Ich habe bei ihr Gesangsunterricht genommen und im Gegenzug für ihre anderen Schüler Körperübungen kreiert. Schließlich sagte sie: „In Japan gibt es einen sehr berühmten Professor, Fumiaki Yoneyama.
Dieser HNO-Arzt behandelt weltberühmte Opernstars. Der interessiert sich bestimmt für deine Arbeit.“ So war es dann auch. Ich habe einen Vortrag in Japan gehalten, der sehr gut ankam. Das liegt jetzt 22 Jahre zurück. Seitdem bin ich ein- bis zweimal im Jahr in Japan.
Womit haben Sie die Japaner überzeugt? Was ist der Kern Ihrer Methode „Atem-Tonus-Ton“?
Das ist ein körperlich-seelischer Weg. Die Ressource des Menschen ist sein Atem. Ich zeige, wie man sich das bewusst machen und daraus schöpfen kann. Ziel ist es, die innere Koordination zwischen der Atembewegung und dem Muskeltonus aufeinander abzustimmen. Das heißt, ich kann die Muskelkraft der willentlichen Skelettmuskulatur einsetzen für Stimmkraft, Tonlänge und Tonhöhe. Für Volumen und Klangfarben übt man an den unbewussten Kräften, den Innenräumen.
Wie sieht die Forschungsarbeit in Japan aus?
Im Grunde wird gemessen und sichtbar gemacht, wie wichtig Körperbewusstheit für eine tragende Stimme ist. Mit dem Ton allein, der in den Stimmbändern entsteht, könnten wir noch nicht gut kommunizieren. Aber mit dem Klang, der daraus entsteht. Jeder von uns hat eine andere Körperform und somit eine andere Klangqualität. Die Stimme wird entlastet, wenn eine gute Synchronisation mit anderen Innenbewegungen des Körpers stattfindet.
Wie lässt sich die Stimme sichtbar machen und messen?
Die thermografischen Aufzeichnungen von Professor Yoneyama faszinieren, weil sie so anschaulich sind. Auf einem großen Monitor ist der Körper in viele Farbfelder eingeteilt, die jeweils die Wärme der entsprechenden Körperzone anzeigen.
Rot steht für hohe Körpertemperatur, blau und schwarz zeigen niedrige Wärmegrade an. Dazwischen gibt es natürlich noch andere Farbnuancen. Je nach Übungssequenz und wenn ich nun etwa die Silbe „Mo“ wiederholt töne, können sich große Veränderungen im Körper zeigen. Über die Temperatur und Farbe ist die Unvergleichlichkeit jedes Menschen beleg- und darstellbar.
Gibt es Grenzen für die Stimme?
Nein, oder nur dann, wenn ich meine Stimme mit der von anderen vergleiche. Wenn ich singen möchte wie Maria Callas oder Edith Piaf, stoße ich natürlich schnell an meine Grenzen. Für mich ist die Stimme an persönliches Wachstum gebunden, wodurch sie sich zu einer individuellen, unvergleichlichen Stimme entwickeln kann.
Welche Stimmen mögen Sie selbst am liebsten?
(Lacht) Die von meinem Mann!
Und wie würden Sie diese Stimme beschreiben?
Mein Mann stammt aus der Nähe von Passau. Er hat eine schöne, tiefe, niederbayerische Stimme, der manchmal die Klarheit nach vorne etwas fehlt. Das ist etwas, was die Stimmen der Norddeutschen oft auszeichnet. Und was die Österreicher eher nervt. Dieses Klare, Preußische, gut Artikulierte und Versierte.
Wie klingt das Österreichische für Sie?
Die Österreicher zeigen mehr Gemüt oder Gefühlsfärbung, was sich in einem weichen Klang und vielen Klangfarben äußert. Die Wärme und der Musikreichtum dieser Kultur sind in der Stimme ebenso enthalten wie in der Sprache.
Wenn ich als Deutsche in Österreich Erfolg haben will, sollte ich den Österreichern stimmlich entgegen kommen? Und wenn ja, inwiefern?
Auf jeden Fall. Nur nicht im Dialekt, das klingt dann eher peinlich. Zunächst ist das Zuhören in einem ungewohnten Sprachraum eine wesentliche Voraussetzung, um überhaupt Menschen besser kennen zu lernen. Speziell in Österreich wäre Weichheit wichtig sowie die Bereitschaft, sich in die Dynamik des österreichischen Gesprächspartners einzufühlen.
Was bedeutet Dynamik in diesem Zusammenhang?
Bei zu forschem Auftreten eines Deutschen neigt der Österreicher dazu, sich zu verschließen. Die Deutschen sprechen in der Regel schneller, fragen häufig nach und formulieren gerne. Der Österreicher zeigt seine Befindlichkeit weniger in der Formulierung als in der Art des Sprechens. Er nimmt gerne Raum ein und kann sich darin schließlich öffnen. Aber er will nicht aufgrund einer einzigen Frage und schon gar nicht in einer kurzen Antwort sein ganzes Leben preisgeben.
Und wenn ein Österreicher nach Deutschland kommt, worauf muss er dann achten?
Ach, der wird an sich schon recht freundlich empfangen. Weil er das Gemüthafte vermittelt, das uns Deutschen immer sehr wohl tut. Manchmal werden Österreicher vielleicht belächelt, weil sie den Deutschen unbekannte Ausdrücke verwenden und dadurch zunächst rhetorisch weniger versiert klingen.
Aber sie müssen sich gewiss nicht verstecken. Denn die Deutschen beneiden die Österreicher um ihre warme und ruhige Sprache.
Magna, der österreichisch-kanadische Autozulieferer, hat sich beim Einstieg bei Opel gegen den italienischen Konzern Fiat durchgesetzt. In der „Süddeutschen Zeitung“ war vom „wärmenden österreichischen Singsang“ des freundlichen Magna-Co-Chefs Siegfried Wolf die Rede. Offenbar ist es ihm gelungen, auch damit ein positives Klima bei den Verhandlungen zu schaffen. Glauben Sie, dass Wirtschaftsbosse von großen Unternehmen durch Sprache und Stimme am Image und Erfolg des Konzerns mitwirken können?
Ja, das glaube ich. Man spricht ja von Resonanz in der Kommunikation, also von Zustimmung, und von Konsonanz , dem Gleichklang. Das sind Phänomene, die an eine schwingende, ansprechende Stimme gekoppelt sind. Innere Ruhe, ein gewisser Tiefgang und Integrität werden in der Sprache hörbar und kommen den Verhandlungen zugute.
Der Schauspieler Christoph Waltz hat in Cannes die Goldene Palme für seine Rolle als SS-Offizier in den Film „Inglorious Basterds“ von Quentin Tarantino verliehen bekommen. Waltz hat erklärt: Das „Österreichische swingt besser als das Deutsche“. Hat er Recht?
So sehe ich, oder besser gesagt, so höre ich das auch! Österreicher können innere Stimmungen stimmlich gut zum Ausdruck bringen. Beim Hörer kann dies als Swing ankommen. Auf jeden Fall kenne ich das Gefühl, in österreichischer Gesellschaft beschwingt zu sein, und zwar noch bevor der Heurige auf dem Tisch steht!
Zur Person
Maria Höller-Zangenfeind, geboren 1952 in Eschenbach/Oberpfalz, Deutschland, ist Körperpsychotherapeutin und bekannt geworden durch ihre Methode „Atem-Tonus-Ton“, eine körperorientierte Stimmbildung. Die eigene Stimme soll sich aus den vitalen und sensiblen Kräften des Menschen entwickeln. Zugleich wird damit die Persönlichkeit gestärkt.
Maria Höller-Zangenfeind ist Schülerin von Ilse Middendorf, die als die Grande Dame der Atemtherapie gilt und bereits 1965 in Berlin ein Institut für Atemtherapie gründete. Heute wird der von ihr entwickelte „Erfahrbare Atem“ nicht nur in ganz Europa, sondern auch in den USA (San Francisco) gelehrt. Bei dieser ganzheitlichen Heilmethode sollen Körper, Seele und Geist durch freies Atmen durchlässig werden und gesunden. Ilse Middendorf ist Anfang Mai 2009 im Alter von 98 Jahren verstorben.
Maria Höller-Zangenfeind bietet Seminare in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Japan an. Am 28. und 29. November 2009 findet ein von ihr geleitetes Seminar in Wien statt. Ebenfalls in Wien beginnt im März 2010 eine Ergänzungsausbildung „Atem-Tonus-Ton“ für künstlerische, therapeutische und pädagogische Berufe.
Maria Höller-Zangenfeind: „Stimme von Fuß bis Kopf“. Studien Verlag, Innsbruck 2004.
www.maria-hoeller.de
Sonja Panthöfer, geboren 1967, arbeitet als Journalistin und Coach. Sie lebt in München. Ihr gemeinsam mit Andreas Wirthensohn verfasstes Buch „Keine Zeit zum Älterwerden. 16 Porträts von aktiven Menschen“ ist im Knesebeck Verlag erschienen.
Der Artikel im Internet
Eine erfolgreiche Stimme klingt authentisch
(Wiener Zeitung 31.07.2009)